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12.05.2025 22:05
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#1
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Runa
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Aus dem gefrorenen Boden ragte ein Stück Holz, gesplittert und fahl wie uraltes Treibgut, doch seine Maserung schien zu glänzen wie vereister Stahl. Es brannte – aber nicht wie gewöhnliches Holz. Die Flamme war blassblau, heißkalt und ohne Rauch. Sie züngelte steif im Wind, als sei selbst sie dem Frost unterworfen, und doch ging eine durchdringende Hitze von ihr aus, spürbar bis zu Runas Händen. Still lag das Land um sie. Nur das leise Flackern der Flamme durchbrach das Schweigen – ein Licht, fremd und unirdisch, das auf den ersten Blick an Feuer erinnerte, auf den zweiten an etwas ganz anderes. Sie saß vor der Fackel auf einem ausgebreiteten Fellumhang, grob genäht aus schwerem Braunbärenpelz, das dichte Fell leicht überzuckert vom Schnee. Der Umhang war dick genug, um die Kälte abzuwehren, doch Runa wirkte ohnehin unberührt davon. In ihrem Schoß ruhte eine Kugel. Glatt, nahezu vollkommen rund, lag sie zwischen ihren Fingern, schwer wie ein Eid. Kein gewöhnliches Glas war das – es war klarer, reiner, geschliffen mit jener Kunstfertigkeit, die mehr verlangt als bloßes Handwerk. Im Licht der blauen Flamme zogen sich feine Schlieren ins Innere, als flösse träge Licht darin oder als ruhe ein Nebel in ihrem Herzen, den kein Atem vertreiben konnte. Die Kugel war ein Geschenk. Ein teures – nicht nur im Preis, sondern in dem, was es bedeutete, so etwas anvertraut zu bekommen. Runa blickte hinein. Ihr Atem stieg ruhig auf, weiß vor der Luft, die alles Leben zu prüfen schien. Ihre Augen – grünblau wie moosiger Stein am Grund eines klaren Bachs – verloren sich im Inneren der Kugel, suchten, tasteten. Ihr feuerrotes Haar leuchtete matt im blauen Schein, als trüge sie selbst noch Glut im Herzen. Und vielleicht war es so. Sie sprach nicht. Kein Laut entwich ihr, nur ihre Finger bewegten sich leicht, als wolle sie mehr fühlen als sehen. Sie wartete. Lauschte. Verharrte im Schnee.
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Alchemistin, Junghexe, Lehrling der Akademie der Magier |
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13.05.2025 21:35
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#2
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Früchtchen
Joined: Jan 30, 2024
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Für einen Moment glaubt Runa, es sei nur das Flackern der blauen Flamme, das in der Kugel tanzt. Ein Spiel aus Licht und Glas, nichts weiter. Aber dann bemerkt sie, dass sich das Muster verändert. Nicht chaotisch. Nicht zufällig. Es zieht Linien, wie feine Kratzer auf einer spiegelglatten Oberfläche. Kein Nebel, kein Rauch, sondern feine Risse. Haarlinienfeine Risse. Sie breiten sich aus, sacht, leise, als würde das Innere der Kugel zu altern beginnen. Doch sie zerspringt nicht. Die Linien formen sich. Erst wild, dann immer ordentlicher. Ein Muster, das sie kennt, ohne zu wissen, woher: Das Geäst toter Bäume im Winter? Adern unter bleicher Haut? Für einen flüchtigen Herzschlag lang könnte sie schwören: es ist ein Gesicht. Keine Augen. Nur Vertiefungen, wo sie sein sollten. Eine Spur von Wangenknochen. Der Schatten eines Mundes, geöffnet – nicht zum Sprechen, sondern zum Atmen. Oder zum Stöhnen. Doch es vergeht so schnell, dass sie nicht weißt, ob es je da war. Die Flamme knistert. Etwas riecht Metallisch, als hätte jemand ein altes Eisenmesser in die Glut gehalten. Es ist kein Rauch, doch der Geruch haftet am Gaumen. Sie spürt ihre Fingerkuppen kribbeln. Kein Schmerz, aber auch nicht angenehm. Als ob etwas Kleines, Kaltes von innen gegen ihre Haut klopft. Die Kugel ist kalt. War da etwas? Da ist nichts mehr, sie sieht aus wie davor.
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14.05.2025 00:59
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#3
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Runa
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Zuerst war da nur der Moment. Flüchtig wie ein Atemhauch auf kaltem Glas. Ein Irrtum, sagte ihr Verstand, ein Spiel des Lichts. Doch ihr Körper wusste es besser – das Kribbeln in den Fingerspitzen, der metallische Geschmack auf der Zunge, der plötzlich viel zu real war, um Trug zu sein. Runas Blick blieb an der Kugel haften. Starr. Wach. Die vermeintlichen Risse waren verschwunden, glatt wie zuvor, makellos. Doch sie hatte es gesehen. Gefühlt. Irgendetwas hatte in sie hineingeblickt – oder versucht, durch sie hindurchzusehen. Sie sog scharf die Luft ein, ohne es zu wollen. Sie schmeckte bitter. Alt. Wie Eisen, das zu lange in Stille gelegen hatte. Ihre Hände schlossen sich fester um die Kugel. Noch immer war sie kalt – nicht wie Schnee, sondern wie etwas, das nie warm gewesen war. Ein Gesicht. Kein Gesicht. Was auch immer es war – es hatte ihr geantwortet. Oder sie gewarnt. Die Flamme knisterte wieder, leise, zischend wie ein geheimer Laut, der sich nicht in Worte kleiden wollte. Runa stand auf, beinahe ruckartig, der schwere Pelz glitt von ihren Schultern wie eine Häutung. Der Wind zerrte sacht an ihrem Haar, doch sie spürte ihn kaum noch. Ihre Gedanken waren bereits woanders. Mit einer geübten Bewegung riss sie die Fackel aus dem gefrorenen Boden. Der Schaft knackte unter ihrer Faust, doch hielt stand. Dann wandte sie sich um – ein letzter Blick zurück, nicht aus Zweifel, sondern aus Gewohnheit. Das Fell blieb im Schnee zurück, eine leere Hülle. Auf dem Weg zum Labor kniete sie kurz vor dem Haus nieder. Die Kugel klemmte sie sich unter den linken Arm, während die Rechte mit ihren Fingern einen weiten Kreis in den Schnee zeichneten. Nicht tief – aber deutlich. Asche rieselte sacht in die gezeichnete Spur, schmolz sich hinein wie eine Unterschrift. Runa murmelte nichts. Kein Zauber, kein Gebet. Nur der Kreis, schweigend gezogen, genügte. Dann stieß sie die Tür auf und verschwand im Inneren. Die Flamme hinter ihr warf einen letzten blauen Lichtschein in die Dunkelheit – als wollte sie sich vergewissern, dass die Schwelle überschritten war.
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Alchemistin, Junghexe, Lehrling der Akademie der Magier |
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27.05.2025 23:05
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#4
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Runa
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Das Labor war still. Nicht leer, nicht tot – aber still. Wie ein Raum, der den Atem anhält, während jemand nach etwas greift, das nicht für seine Hände gedacht war. Runa hatte die Vorhänge zugezogen. Kein Licht fiel herein, außer jenem der blassblauen Fackel, die in einer Eisenklammer an der Wand ruhte. Ihr Flackern war fast regungslos, nur ein leiser Schein, der die Schatten nicht vertrieb, sondern ihnen Tiefe gab. Der Raum roch nach kaltem Stein, nach alten Papieren und einer Note verbrannter Kräuter, die sich in Ritzen und Fasern festgesetzt hatte wie ein geisterhafter Schleier. Die Kugel lag vor ihr auf dem Arbeitstisch. Kein Sockel, kein Tuch – nur das rohe Holz unter ihr, rau und dunkel vom Alter. Runa saß aufrecht, beide Hände locker auf der Tischplatte, fast so, als wolle sie die Kugel nicht berühren, sie aber auch nicht aus den Augen lassen. Ihr Blick war ruhig. Wach. Doch etwas in ihr war angespannt, wie eine Saite, zu straff gezogen, um zu klingen. Ihr Atem kam langsam, gleichmäßig, sichtbar in der kalten Luft, als müsse sie jede Regung kontrollieren, um nicht zu stören, was noch nicht da war. Leise begann sie zu sprechen. Keine Beschwörung, kein Zauberspruch – nur Worte. Schlicht, bedacht, getragen von einer Stimme, die mehr wusste, als sie verriet. Worte wie Fäden, gesponnen aus Erinnerung und Ahnung, aus dem, was war, und dem, was vielleicht sein könnte. Kurz. Fragmentarisch. Fast murmelnd. Als ob sie einer Stille antwortete, die nur sie hörte. Manche Sätze wiederholte sie. Andere löschte sie mit einem einzigen Atemzug aus der Luft. Ihre Finger tasteten mit der Zeit näher an die Kugel heran, streiften sie kaum merklich, wie man einen schlafenden Wolf berührt – aus Faszination und mit tiefem Respekt vor dem, was geschehen könnte. Die Kugel blieb stumm. Klar. Undurchsichtig in ihrer Durchsichtigkeit. Doch Runa sah hinein, als wäre darin etwas, das sie verstand – oder verstehen musste. Die Zeit verrann. Vielleicht Stunden. Vielleicht nur ein paar Minuten, verloren in der Dichte der Stille. Ab und zu stand sie auf, ging einige Schritte durch den Raum. Nie hastig, nie unsicher. Sie legte getrocknete Kräuter in eine Schale. Zündete sie nicht an, sondern ließ sie einfach da, wie ein stilles Opfer. Dann kehrte sie zur Kugel zurück, als sei sie nur kurz hinausgegangen, um dem Gespräch Raum zu geben. Schließlich – sie wusste nicht, wann genau – setzte sie sich wieder, beide Hände nun offen um die Kugel gelegt. Sie sprach nicht mehr. Ihr Blick ruhte still in der Tiefe des Kristalls, und ihre Schultern sanken langsam. Nicht in Erschöpfung, sondern in Bereitschaft. Nicht, um zu fordern. Nur, um zu hören. Falls etwas sprach.
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Alchemistin, Junghexe, Lehrling der Akademie der Magier |
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